Seit 1944 ruht der Vesuv. Nicht einmal der Pennachio steigt noch in den Himmel, die auf vielen Gemälden verewigte Rauchfahne. Die ausgedehnte Ruhephase des Vulkans ist vielen Wissenschaftlern mittlerweile unheimlich. Je länger der Schlaf, desto schlimmer das Erwachen, sagt Lucia Civetta vom Überwachungszentrum Osservatorio Vesuviano (OV) in Neapel. Ihre Befürchtung: Magma sammelt sich unter dem Vulkan, und der Druck im Inneren wird immer größer.
Die Regionalregierung ermuntert jetzt zum Aufbruch aus der so genannten roten Zone, der am meist gefährdeten Region mit 600.000 Bewohnern: Mehr als 30.000 Menschen haben bisher das Angebot der Behörde angenommen und sind für eine Belohnung von 25.000 EURO aus dem Umland des Vulkans weggezogen. In den kommenden Jahren sollen mindestens 150.000 weitere Menschen umgesiedelt werden. Denn die Experten sind sich einig: Sehr wahrscheinlich kommt es noch in diesem Jahrhundert zu einem neuen großen Ausbruch.
Nach langem Zögern legten die Behörden auf Druck von Wissenschaftlern einen Evakuierungsplan für den Großraum Neapel vor. Er basiert auf der Annahme, ein Ausbruch könnte drei Wochen im Voraus vorhergesagt werden - was fraglich ist. Früher als einige Tage im Voraus können wir eine Eruption kaum prognostizieren, sagt Flavio Dobran, Vorsitzender des Projektes Vesuvius 2000. Sein Ziel: Die Bevölkerungszahl am Vesuv zu reduzieren.
Die Fachleute fordern breitere Straßen und sicherere Spitäler. Mehr als eine Million Menschen leben näher als zehn Kilometer am Krater. Es ist unmöglich, sie im Notfall alle rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, sagt Dobran. Er befürchtet, dass es bei einem Ausbruch zu chaotischen Szenarien kommt: Es ist sehr schwierig, einen Evakuierungsplan für eine Region zu entwerfen, in der es bereits jetzt täglich zu endlosen Verkehrsstaus kommt. Die Forscher wollen die Neapolitaner nun zu Demonstrationen aufrufen.
Eine gruselige Entdeckung von Vulkanologen um Paolo Gasparini von der Universität Neapel erhöht die Sorge: Die Forscher entdeckten vor drei Jahren unter dem Vesuv einen 400 Quadratkilometer großen Magmasee. Damit besitzt der Feuerberg mehr Magma, als er seit seiner Entstehung zu Tage gefördert hat. Der unterirdische Magmasee erstreckt sich bis unter die Hügel der Phlegräischen Felder im Nordwesten Neapels, wo es in Erdlöchern zischt und brodelt und penetrant riechende Schwefeldämpfe aufsteigen. Zwischen den Phlegräischen Feldern und dem Vesuv leben mehr als drei Millionen Menschen. Die Phlegräischen Felder bedrohen Neapel vermutlich noch stärker als der Vesuv, sagt Lucia Civetta.
Der letzte große Ausbruch aus dem ständig aktiven Vulkankrater Solfatara in den Phlegräischen Feldern liegt mehr als 400 Jahre zurück. Es gebe jedoch Anzeichen für einen neuen Ausbruch, meint Civetta - Erdbeben haben zugenommen. Die Beben könnten von aufsteigendem Magma verursacht werden, das Gestein auseinander drückt und erzittern lässt.