Rainer Olzem - arge-geologie.de

Verlassene Schwefelbergwerke auf Sizilien und Hüttenleben am Ätna

von Timm

Im Schwefelbergwerk San Giovanni

Um 8:00 Uhr ist allgemeines Frühstücken im großen Saal des Grand Hotel Mosè. Nachdem wir uns ausgiebig gestärkt haben, besprechen wir kurz den Ablauf des heutigen Tages. Wir haben heute viel vor. Wir wollen auf dem Weg zum Höhepunkt unserer Exkursion, dem Ätna, noch Abstecher zu einigen Schwefelbergwerken in der Region um Agrigento machen. Dann wollen wir unbedingt dabei sein, wenn Michael Schumacher seinen 7. Formel 1- Weltmeistertitel einfährt. Und auch die berühmte Römische Villa bei Piazza Armerina wollen wir heute noch besuchen.

Das Gespräch dreht sich immer wieder um den Ätna. Weil Kai und Timm nicht glauben wollen, dass es möglich ist, den Stromboli zu toppen und am liebsten noch einmal hinfahren wollen, wagt Rainer einen äußerst abenteuerlichen Vergleich: Stromboli und Ätna, das ist wie ein Mofa gegen einen Ferrari. Was man nicht alles sagt, um die Bande ruhig zu kriegen. Um halb Zehn checken wir aus und begeben uns auf die Suche nach den Schwefelbergwerken.

Stufen von Schwefelkristallen in den Wänden

Weniger als 2 km südöstlich von Villaggio Mosè liegt etwa 200 m nördlich der Straße SS 115 das einstmals große Schwefelbergwerk San Giovanni. Heute sind die Anlagen von Menschen verlassen und verfallen. Die einzigen Bewohner sind die kleinen sizilianischen Kaninchen. Nichts ist hier gesichert oder verschlossen. Die gesamte Grubenanlage, die Gebäude und auch dunkle Stollen in den Berg hinein sind offen und frei zugänglich. Die Szene wirkt gespenstisch und lässt uns in der brütenden Sonne an die damals berüchtigten unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Bergleute denken, darunter Tausende von Jugendlichen, die in den wegen des Holzmangels meist ungesicherten Gruben arbeiten mussten.

Sizilien verdankt den reichen Schwefelvorkommen des zentralsizilianischen Beckens nördlich und östlich von Agrigento im Dreieck Sciacca-Enna-Gela eine gewisse bergbauliche Berühmtheit. Bereits in der Antike wurde hier Schwefel gewonnen. Während im Mittelalter Schwefel hauptsächlich zur Herstellung von Schießpulver benötigt wurde, gewann seit dem 19. Jahrhundert in den Industriestaaten die Herstellung von Schwefelsäure an Bedeutung. Um 1900 waren in Sizilien 730 Schwefelgruben in Betrieb, die meist im Tagebau betrieben wurden. Hier schufteten 38.000 Bergleute und gewannen 3,4 Millionen Fördergut, aus dem 0,54 Millionen Tonen reinen Schwefels gewonnen wurden. Das waren immerhin 90% der gesamten Weltproduktion! Anfang des 20. Jahrhunderts setzte jedoch vor allem wegen der zunehmenden billigeren Konkurrenz aus den USA ein Rückgang der Förderung ein. Bereits 1917 war der Anteil Italiens an der Weltproduktion auf 14% gefallen, 1965 waren noch 180 Bergwerke in Betrieb, 1983 gab es nur noch 13 Bergwerke. Heute gibt es, soviel wir wissen, kein einziges in Betrieb befindliches Schwefelbergwerk in Sizilien mehr.

Schwefelkristalle aus San Giovanni

Die Schwefelvorkommen um Agrigento sind sedimentärer Entstehung. Durch starke Absenkungen bildete sich ab dem Miozän das etwa 140 km lange und etwa 80 km breite zentralsizilianische Becken, in dem bis in das Pleistozän eine 8.000 m mächtige Sedimentabfolge abgelagert wurde. Der wichtigste Teil der Beckenfüllung ist die Schwefel-Gips-Serie, die vor 7,5 bis 5 Millionen Jahren entstand, als durch die Schließung der Meeresenge von Gibraltar das Mittelmeer von den Weltmeeren abgeschnürt und das gesamte Wasser des Beckeninhaltes mehrmals eingedampft wurde.

An den Grubenwänden und an den Wänden stehen gebliebener Erdpfeiler finden wir in großer Menge schöne, reich besetzte Stufen mit Schwefelkristallen, daneben auch Gips und Calcit. Gips tritt stellenweise auch als Marienglas auf. Manche Wände leuchten strahlend schwefelgelb, aber als wir Proben nehmen wollen, bröseln die stark verwitterten Kristalle von der Matrix. Wir nehmen trotzdem einige Stücke mit und packen sie sorgfältig ein. In die kleinen Stollen wagen wir uns nicht weit hinein. Schon nach wenigen Metern haben unsere Taschenlampen gegen die tiefschwarze Dunkelheit keine Chance.

Nicht allzu weit entfernt von San Giovanni liegt das ehemalige Schwefelbergwerk Santa Lucia. Etwa 1 km östlich Villaggio Mosè zweigt von der SS 115 eine kleine Nebenstraße nach Norden in Richtung Favara ab. Nach einigen hundert Metern wird die Straße zur Schotterpiste, um dann schließlich wieder asphaltierte Straße zu werden. Nach etwa 3 km sind die alten Grubenanlagen und die Fabrikgebäude links der Straße nicht zu übersehen.

Marienglas aus Santa Lucia

Hier ist das Grubengelände unzugänglich. Zwischen Straße und Werksanlagen zieht sich ein breiter und tiefer gemauerter Wassergraben entlang. Der Graben führt zwar jetzt im Hochsommer kein Wasser, seine Mauern sind jedoch zu hoch, um sie ohne Kletterausrüstung zu überwinden. Über den Graben führt eine Brücke, die an einem verschlossenen hohen Tor endet. Hinter dem Tor sehen wir einen alten Mann, der auf dem Haldengelände angepflanzte Weinreben pflegt. Ohne jemanden zu fragen, steigen wir über den Zaun, vor den kläffenden Hunden haben wir keine Angst, und wenden uns nach links auf eine hohe Abraumhalde zu.

Schon von weitem fällt uns ein dicker kalkiger Brocken von etwa 2 x 1 m auf, dessen seidig glänzende Oberflächenstruktur Interessantes verspricht. Und tatsächlich, wir finden riesige Tafeln von Marienglas. Die immer weiter spaltbaren, oft mehr als 10 cm dicken Mineralstufen haben Flächengrößen bis etwa 30 x 15 cm und sind wunderbar klar und durchscheinend. Einige Stücke sind durch Eisenoxide leuchtend rot gefärbt. Unsere Geologenhämmer haben viel zu tun.

Mosaiken der Villa Romana del Casale

Als dann der alte Mann aus den Weinreben kommt, fürchten wir zunächst, schon wieder einmal vertrieben zu werden. Aber nein, wir unterhalten uns mit Händen und Füßen und erklären ihm unser Tun. Er findet alles prima und wünscht uns bei der Mineraliensuche viel Erfolg. Der dicke kalkige Brocken beschäftigt uns so sehr, dass wir kaum Zeit für eine weitere Erkundung des Geländes haben. Wir nehmen Proben auf Proben und hoffen, unser Gewichtslimit im Flugzeug nicht zu überschreiten.

Viel zu spät brechen wir auf zu unserer nächsten Station, dem Schwefelbergwerk von Cozzo Disi einige Kilometer südlich von Casteltérmini. Diese noch in den 1980er Jahren bedeutendste Schwefelmine Siziliens ist vom Erdboden verschwunden. Nur wer weiß, dass hier einmal ausgedehnte Anlagen standen, die das größte bekannte Schwefellager Siziliens noch in 330 m Tiefe abbauten, erkennt an wenigen Merkmalen im Gelände die Tätigkeiten der vergangenen Jahre. Auch das Umfeld der Gruben ist durch neue Straßen und angesiedelte Industrie völlig verändert. Rainer steigt kurz aus und sucht nach letzten Spuren. Hin und wieder findet er im Gelände verstreut kleine Schwefelbröckchen, sonst nichts.

Der Fußboden in einem der Baderäume

Jetzt müssen wir uns aber beeilen, um das Formel 1- Rennen im Fernsehen mitzubekommen. Wir erreichen die Stadt Aragona und sehen in der Mittagshitze nichts als geschlossene Läden und hochgeklappte Bürgersteige. Bei uns allen, außer bei Kai, schwindet allmählich die Hoffnung, das Rennen sehen zu können. Durch seine Zielstrebigkeit und seinen Optimismus findet Kai dann schließlich doch ein einfaches, gutes und preiswertes Ristorante mit Fernseher. Dort steht uns ein eigener Raum zur Verfügung und wir schaffen es sogar, uns der Fernbedienung zu bemächtigen. Bei gutem Essen und Trinken sehen wir, wie Michael Schumacher zum 7. Mal Formel 1- Weltmeister wird. War doch eigentlich klar, wer denn sonst? Auf dem weiteren Weg nach Piazza Armerina sagt Rainer einem Tankwart an einer Ferrari-beflaggten Tankstelle: Ferrari, campione del mondo. Der Tankwart hebt nur die Siegesfaust.

Erst spät gegen halb sechs erreichen wir die Römische Villa bei Piazza Armerina. Das Haus ist einfach prachtvoll, fast alle Fußböden sind reich mit vielfältigen Mosaiken ausgestattet. Wie kommt ein damaliger Römer dazu, sich mitten in der Wildnis ein Haus zu bauen?

Die Hütte am Ätna

In den ersten Jahrhunderten nach Christus bevorzugten viele römische Aristokraten das Landesinnere von Sizilien, um ihre Sommerferien zu verbringen. Der größte Teil Siziliens war damals noch weitgehend von dichten Wäldern bedeckt und äußerst wildreich. Der reiche Römer ließ sich die prachtvolle Jagdvilla zwischen dem 3. und 4. Jahrhundert erbauen. Die heute als Villa Romana del Casale bekannte Touristenattraktion liegt am Fuß des Monte Mangone und bedeckt eine Fläche von mehr als 4.000 m².

Wer dieser reiche Römer war, ist bisher nicht bekannt, die Vermutungen nennen den Vater des Kaisers Maxentius, einen Großgrundbesitzer oder einen Händler von Raubtieren, der die römischen Arenen mit Nachschub aus Afrika belieferte.

Die prachtvollen Mosaiken, die nahezu alle Fußböden und zum Teil auch die Wände des Hauses schmücken, werden übereinstimmend für nordafrikanische Arbeit gehalten, die in ihrer Darstellung überwiegend die Tierwelt der Menschenwelt bevorzugt. In einigen Mosaiken werden Männer und afrikanische Tiere in Angriffs- oder Verteidigungsstellung dargestellt. Die Bestien werden eingefangen, in Käfige gesperrt und unter Bewachung von Beamten auf Schiffe verfrachtet.

Abends in der Hütte

Fasziniert von den Mosaiken kauft Kai seinem Vater, der betreibt ein Fliesenleger-Fachgeschäft, ein dickes Buch über die Kunstwerke der Villa. Dann ist die Kultur für heute abgehakt. Es geht auf oft seltsamen Straßen in Richtung Catania und zum Ätna. Plötzlich ist die Autostrada gesperrt und wir finden uns mitten im Feld wieder. Eine ausgeschilderte Umleitung gibt es nicht. Und bei Catenanuova suchen wir ewig die Autobahnauffahrt. Die ist ein Witz einer Auffahrt, eine kleine Feldstraße, durch die wir uns gerade so durchquetschen können. Bereits zweimal sind wir diesen Feldweg ein Stück gefahren, haben aber wieder gewendet, weil wir ihm die Autobahnauffahrt nicht glauben konnten.

Endlich wieder auf der Autostrada sehen wir, die Dämmerung hat eben begonnen, in der Ferne die gewaltigen Umrisse des Ätna. Ergriffene Bemerkung von Jan: Mann, bist du dick, Mann. Wir versuchen, mit unserem Hüttenwirt, Signore Tucchio Romeo, telefonischen Kontakt aufzunehmen. Das gelingt aber nicht sogleich. Auch Signore Romeo versucht, uns anzurufen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen schafft es Jan, die Mailbox von Rainers Handy abzuhören. Erstaunt hören wir eine Frauenstimme: Wo bleibt ihr denn, Leute. Meldet euch mal. Die freundliche Dame wird uns ewig unbekannt bleiben, wir bekommen sie in den nächsten Tagen weder zu Gesicht, noch schaffen wir es, Herrn Romeo, der ausschließlich italienisch spricht, eine Antwort zu entlocken.

Unsere Hundemutter

Erst kurz nach halb neun erreichen wir unsere Hütte, die mitten im Parco dell' Etna liegt. Alles ist ein wenig unwirklich: Hier in 1.700 m Höhe ist es, im Gegensatz zu der Hitze des Tages in den tieferen Regionen, echt kalt und wir ziehen unsere Jacken über. Zur einen Seite erahnen wir über uns schwach die Umrisse des mächtigen Vulkans, zur anderen Seite funkeln und flimmern die Lichter der Großstadt Catania in der Tiefe.

Unser Hüttenwirt trifft gegen 21:00 Uhr ein und übergibt uns das Blockhaus. Wir sind völlig überrascht vom alpenländlich-kitschigen Charme der Hütte. An der Decke hängen knorrige Leuchter und Dirndl-Lämpchen, an den Wänden Bilder mit röhrenden Hirschen und Pfeife rauchenden alten Männern mit zerfurchten Gesichtern, auch alberne übergroße geschnitzte Holzbestecke. Den Fußboden bedecken Kuhhäute. Die ganze Hütte steht proppenvoll mit Tischen, Stühlen, Sesseln. Platz haben wir trotzdem mehr als genug: ein großes Wohnzimmer mit separater Kochnische und zwei Schlafzimmer für insgesamt 6 Personen. Wegen der schon späten Tageszeit stellen wir unser Gepäck in der Hütte ab und machen uns nur kurz frisch.

Sternspuren über unserer Hütte

Rainer hat alle zum Abendessen ins Albergo und Ristorante Nuova Quercia eingeladen. Das Albergo liegt 400 Meter tiefer am Berg an der südlichen Auffahrt zum Ätna. Weil das Nuova Quercia, obwohl nicht gerade billig, ein guter Ausgangspunkt für die Besteigung des Ätna und für viele Wanderungen ist, hat Rainer hier in den letzten Jahren oft gewohnt.

Der Oberkellner Pippo, Rainer kennt ihn seit mehr als 12 Jahren, begrüßt uns wie alte Bekannte und fährt die ganze Palette der (kostenlosen) Antipasti auf, für die das Nuova Quercia berüchtigt ist: köstliche Bruschette, mehrere Arten von Oliven in Öl, in Öl eingelegte Paprika, Hartkäse mit Pfefferkörnern und Parmaschinken. Danach kommen 1. Gang, Hauptgang, Nachtisch und Absacker. Satt und müde rollen wir den Berg hinauf zum Blockhaus, das für die nächsten Tage unser Zuhause sein wird.

Ach ja, was wir noch nicht erwähnt haben: Mit der Hütte übernehmen wir gleichzeitig auch eine allein erziehende Hundemutter mit 6 Welpen. Doch das ist eine andere Geschichte.

Der Gipfel des Ätna bei Nacht

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