Rainer Olzem - arge-geologie.de

Der Kanarische Hotspot - Hypothesen zur Entstehung der Kanarischen Inseln

Abb. 1: Die bathymetrische Karte zeigt die vulkanischen Provinzen der Kanaren und von Madeira mit den Inseln und zugehörigen Seamounts. Die fetten Linien markieren die Spur der jeweiligen Hotspots (Hoernle & Carracedo, 2008)
Abb. 2: Die Entwicklung des subaerischen Stadiums der einzelnen Inseln (Carracedo, 1999)

Die 7 größten Inseln der Kanaren – von Osten nach Westen Lanzarote, Fuerteventura, Gran Canaria, Tenerife, Gomera, La Palma und El Hierro – bilden einen zunächst von Nordost nach Südwest parallel zur afrikanischen Westküste (Lanzarote und Fuerteventura) und danach einen von Ost nach West verlaufenden Inselbogen (Gran Canaria bis El Hierro, Abb. 1). Nach Nordosten setzt sich der Inselbogen mit den untermeerischen Erhebungen, so genannten Seamounts, Dacia, Conception Bank, Anika und Lars fort (Abb. 1, 3 und 4).

Das Alter der Seamounts und Inseln nimmt von Nordosten nach Südwesten ab, so ist der älteste Seamount Lars vor 68 Millionen Jahren (Ma) entstanden, Anika vor 55 Ma, Dacia vor 47 Ma, Selvagens vor 30 Ma, Lanzarote und Fuerteventura vor 24 Ma, Gran Canaria vor 15 Ma, Tenerife vor 12 Ma und die jüngsten Inseln La Palma und Hierro schließlich vor 2 bzw. 1 Ma (Abb. 1, 2 und 3).

Dieser Abfolge im Alter der Inseln folgt auch der Grad der Erosion. Während die nordöstlichen Seamounts alte, bereits wieder bis unter die Meeresoberfläche erodierte ehemalige Vulkaninseln darstellen, die östlichen Inseln Lanzarote und Fuerteventura nur noch relativ flache Erhebungen über dem Meeresspiegel, weisen die jungen westlichen Inseln große Reliefenergie auf. Die nur noch 2,8 km² kleine unbewohnte Rumpfinselgruppe Selvagens ragt mit ihrem höchsten Punkt (Pico de Atalaia) noch 163 m über den Meeresspiegel und wird in geologisch kurzer Zeit bis unter die Meeresoberfläche erodiert sein.

Sowohl diese Abfolge im Alter als auch im Grad der Erosion deuten auf eine Entstehung des Kanarischen Inselbogens durch einen so genannten Hotspot hin. Der Kanarische Hotspot ist eine vulkanische Erscheinungsform von heißem plastischem Gesteinsmaterial, das in einer eng begrenzten Zone aus den Tiefen des Erdmantels als so genannter ortsfester Mantelplume aufsteigt. Wenn das aufsteigende basaltische Gestein des Mantels die oberflächennahe Zone der Erdkruste mit den dort herrschenden geringen Drücken erreicht, beginnt es zu schmelzen, und es entsteht ein basaltisches Magma, das die Lithosphäre durchdringt und an der Erdoberfläche ausfließt.

Abb. 3: Seamounts und Inseln vor der Westküste Nordafrikas (Herwig Wakonigg, Graz 2008)
Abb. 4: Beispiel für einen Seamount: Unterwasser-Aufnahme des Gosanjo-Seamounts in der Inselkette von Hawaii (geo4u/Google)
Abb. 5: Die Kanaren liegen vor der Westküste Nordafrikas auf der afrikanischen Platte (Ausschnitt) (NASA)
Abb. 6: Das geomagnetische Streifenmuster des Atlantikbodens zeigt ein Alter des Krustenstreifens, auf dem die Kanaren liegen, von 180 Millionen Jahren (Ausschnitt) (www.reliefs.ch/geo)

Die Kanaren liegen auf der afrikanischen Platte, die aus dem Kontinent Afrika und dem westlich vorgelagerten Ozeanboden besteht (Abb. 5). Der Schelfbereich an Afrikas Westküste ist ein passiver Kontinentalrand. Am divergenten mittelatlantischen Rücken (Mid-Atlantic Ridge) driftet die amerikanische Platte nach Westen und die afrikanische Platte nach Osten. Die momentane Ostdrift hat eine Geschwindigkeit von etwa 2,3-3 cm/a, die mittlere Geschwindigkeit seit dem Jura liegt bei 1,2 cm/a. Der Krustenstreifen vor der Westküste Afrikas, auf dem die Kanaren liegen, ist mit fast 180 Ma der älteste Teil im Atlantik und hat sein Äquivalent im Meeresgebiet vor der Ostküste der USA (Abb. 6).

Abb. 7: Seamounts südwestlich von El Hierro (verändert nach Google Earth)

Durch die plattentektonische Bewegung der ozeanischen Kruste über den Hotspot hinweg entstand die Inselkette, wobei die derzeitige Position des Hotspots durch den aktiven Vulkanismus auf La Palma und Hierro gekennzeichnet ist (Abb. 8). Der Vulkanismus erlischt jedoch, wenn sich die Platte vom Hotspot hinweg bewegt.

Südwestlich von El Hierro liegt eine Kette von Seamounts auf dem Ozeanboden: El Hierro- Seamount, Endeavour-, Paps- und Tropic-Seamount (Abb. 3 und 7). Ob es sich dabei um neu gebildete Seamounts als Vorläufer zukünftiger Inseln handelt, oder ob es erodierte ehemalige vulkanische Inseln sind, ist noch zu klären. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-GEOMAR) wird folgender Frage nachgegangen:

Wann sind die (durch subaerische Erosion entstandenen?) Seamounts Endeavour (Top 250 m unter NN) und Tropic Seamount (Top 1.000 unter NN) abgesunken? Sind die 20-40 km langen submarinen südlichen Rücken von La Palma und Hierro gleich alt, älter oder wesentlich jünger als die bis über 2.000 m hohen subaerischen Vulkanteile (La Palma)? Das zu erarbeitende Altersgerüst wird wichtige Daten zur Frage liefern, inwieweit die Kanaren das Resultat eines fokussierten Hotspots oder einer breiten diffusen Mantelanomalie darstellen.

Abb. 8: Das Hotspot-Modell der Kanaren und die Edge Driven Convection-Hypothese mit dem jeweiligen Alter der Inseln (Carracedo, 1998)

Weitere Hypothesen zur Entstehung der Kanarischen Inseln

Abb.9: Die Atlas-Hypothese (Blockbild nach Anguita & Hernan)

Da einige geologische Beobachtungen nicht ganz mit der Hotspot-Hypothese übereinstimmen - z. B. das räumliche Abseits einiger vulkanischer Aktivitäten von der Hotspot-Spur (Abb. 1) und teils wiederkehrende vulkanische Aktivitäten auf einzelnen Inseln (Abb. 12), hat es immer wieder Versuche gegeben, die Entstehung der Kanaren durch andere Hypothesen zu erklären. Von allen diesen Erklärungsversuchen sind zwei Theorien erwähnenswert, nämlich die Atlas-Hypothese und die Instabilitäts-Hypothese.

Die Atlas-Hypothese verbindet die eruptiven Zyklen der Kanarischen Inseln mit den dynamischen Phasen des nahen Atlasgebirges.

Der Atlas bildet die tektonische Grenze zwischen der Eurasischen Platte im Norden und der Afrikanischen Platte im Süden. Die hauptsächlichen Störungen der Gebirgsketten des Atlas verlaufen in NE–SW-Richtung und entsprechen damit der räumlichen Lage des kanarischen Inselbogens.

Die Atlas-Hypothese geht nun davon aus, dass eine dieser Hauptstörungen in NE-SW-Richtung bis zum kanarischen Archipel reicht. Diese Störung würde periodisch aktiv werden und könnte so das Austreten von Magma aus dem Erdmantel ermöglichen. Diese Magma-Austritte würden in mehreren aufeinander folgenden Schüben von Druck und Dehnung auftreten, wie in den Blockbildern von Anguita und Hernan (Abb. 9) dargestellt.

Die weiter unten vorgestellte Theorie eines Tunnels zwischen dem Atlasgebirge und den Kanaren würde in dieses Schema passen.

Abb. 10: Schematische Darstellung der Instabilitäts-Hypothese

Die Instabilitäts-Hypothese hält die Hebung von Blöcken aus ozeanischer Kruste für die Ausgangszentren (insular nuclei) der einzelnen Inseln.

Die Afrikanische Platte besteht aus der ozeanischen und der kontinentalen Platte. Die relativ dünne ozeanische Platte bewegt sich gemeinsam mit der dickeren afrikanischen Kontinentalplatte in NE-Richtung. Da die dicke und tiefer in den Erdmantel eintauchende Kontinentalplatte dieser Bewegung einen höheren Widerstand entgegensetzt, kommt es zu Stauchungen und damit Faltungen und Brüchen in der dünneren und damit weniger stabilen ozeanischen Platte. Dadurch würden Teile der ozeanischen Kruste als Blöcke gehoben, also eine Reaktion der Schwächezonen am Übergang von der ozeanischen zur kontinentalen Kruste. Die Störungen und Brüche an diesen Blöcken könnten dann dem Magma aus dem Erdmantel als bevorzugte Förderwege dienen (Abb. 10).

Abb. 11: Der magmatische Gürtel vor der Westküste Afrikas (Schmincke und Sumita, 2004)

In der Regel weisen passive Plattengrenzen weder größere Störungszonen oder seismische Aktivitäten noch Vulkanismus auf. Der passive Kontinentalrand an der Nordwestküste Afrikas passt in dieses Schema - bis auf seinen lebhaften Vulkanismus. Hier reihen sich mehrere Inselgruppen und mehrere hundert Seamounts vor und auf dem nordwestafrikanischen Schelf auf. Außer den Kanaren sind dies die Inselgruppen der Kapverden und Madeira sowie die Saharan-Seamounts, eine versunkene Inselgruppe, und die Sierra Leone Seamounts. Insgesamt ergibt sich ein ca. 3.000 km langer magmatischer Gürtel, der dem afrikanischen Kontinent westlich vorgelagert ist (Abb. 11).

Diese N-S streichende Zone vulkanischer Inseln und Seamounts parallel zur Küste ist wohl nicht zufällig. Wie so oft bei naturwissenschaftlichen Phänomenen scheint auch die Entstehung der kanarischen Inseln nicht monokausal erklärbar zu sein. So ist es nicht auszuschließen, dass die Kanaren ihre Entstehung auch tektonischen Instabilitäten entlang einer lithosphärischen Grenze verdanken, hier der passiven Plattengrenze Westafrikas.

Möglicherweise hat sich die ozeanische Kruste entlang einer kritischen Naht zwischen der dicken alten Kontinentalplatte und der jungen ozeanischen Lithosphäre gehoben und damit entlang von Störungen und Bruchlinien den Magmenaufstieg begünstigt, wahrscheinlich in Kombination mit mehreren Hotspots von etwa gleicher räumlicher Ausdehnung.

Edge Driven Convection

Abb. 12: Perioden vulkanischer Aktivität auf den Kanaren (Montelly)

Die Hotspot–Hypothese liefert bisher die schlüssigste Erklärung für die Entstehung der Kanarischen Inselkette auf der Afrikanischen Platte. Jedoch passen einige Beobachtungen nicht ganz in dieses Bild. Das räumliche Abseits einiger vulkanischer Zentren von der Hotspot-Spur (Abb. 1), die breite Streuung der Inselkette und die außergewöhnlich lange und teils wiederkehrende vulkanische Aktivität einzelner Inseln (Abb. 12) lassen sich nicht allein durch das klassische Hotspot-Modell erklären.

Die letzten vulkanischen Eruptionen fanden auf Lanzarote im 18. und im 19. Jahrhundert statt, auf Tenerife sogar noch 1909 (Ausbruch des Chinyero, Abb. 13). Deshalb gehen einige Geologen von einer Interaktion des Kanarischen Mantelplumes mit einer so genannten Edge Driven Convection (EDC) aus (Abb. 8 und 14). Edge Driven Convection könnte man mit Kontinentalrand-Konvektion übersetzen.

Als EDC wird eine lithologische Instabilität an der Grenze zwischen einer dicken Kontinentalplatte und einer dünnen ozeanischen Platte bezeichnet. Die dicke Kontinentalplatte ist hier der Westafrikanische Kraton.

Abb. 13: Historisches Foto vom Ausbruch des Chinyero 1909. Rechts im Hintergrund der Teide.

Kratone sind die stabilen alten Festlandskerne der Kontinentalplatten, die meist seit Beginn des Paläozoikums keiner tektonischen Umformung unterlagen und Dicken von mehr als 250 km aufweisen können. Die Mächtigkeit des Westafrika-Kratons wird auf etwa 150 km geschätzt, die der westlich vorgelagerten ozeanischen Platte dagegen auf weniger als 10 km.

Abb. 14: Interaktion von Hotspot und Edge Driven Convection als Enstehungshypothese der Kanaren (Carracedo, verändert nach Geldmacher et al., 2005).

Durch den Wechsel in der Mächtigkeit der Lithosphärenplatten entstehen laterale Temperatur- und Viskositätsunterschiede, die einen relativ kleinmaßstäblichen Konvektionsfluss im Erdmantel verursachen. Der Konvektionsfluss entsteht durch das Absinken von kühlem Gesteinsmaterial höherer Dichte am Rand der mächtigen Kontinentalplatte (Downwellings: blaue Pfeile in Abb. 8 und 14) bis in die Mantelübergangszone (mit den begrenzenden Manteldiskontinuitäten in 410 km und in 660 km Tiefe) und durch das Aufsteigen von heißem Gesteinsmaterial geringerer Dichte am Hotspot (Upwellings, rote Pfeile in Abb. 8 und 14). Die mit einer geschätzten mittleren Geschwindigkeit von 20 - 30 mm/Jahr auf- und absteigenden plastischen Gesteine bilden schließlich eine geschlossene Konvektionswalze. Für die Kanarischen Inseln bedeutet das, dass die an der Oberfläche sichtbare Erscheinungsform des Vulkanismus sowohl durch einen ortsfesten Mantelplume als auch durch die Upwellings einer kleinräumigen Edge Driven Konvektionszelle entstanden ist (Abb. 14).

EDC funktioniert so lange, wie die kontinentale Platte und der Magmenaufstieg über dem Hotspot Einfluss auf die Konvektion nehmen können. Es wird angenommen, dass die Reichweite der Upwellings maximal etwa 600 bis 1.000 km vom Hotspot aus betragen kann. Zur Zeit liegt die dem afrikanischen Kontinent nächste Insel Fuerteventura ca. 100 km und die westlichste Insel La Palma ca. 500 km vom afrikanischen Kraton entfernt. Legt man die aktuelle Driftgeschwindigkeit der afrikanischen Platte von 2,3 bis 3 cm/Jahr, die momentane Lage des Hotspots unter La Palma und die oben genannten Reichweiten zugrunde, so könnte die EDC in ca. 3,5 bis 22 Ma zum Stillstand kommen.

Tunnel zwischen den Kanaren und dem Atlas-Gebirge?

Schema des Mechanismus zwischen kanarischem Hotspot und NW-Afrika (S. Duggen, IFM-GEOMAR)

Analysen von vulkanischen Gesteinen des Atlas-Gebirges in Nordwest-Afrika zeigen einen chemischen Fingerabdruck, der denen der Vulkanite der Kanarischen Inseln sehr ähnlich ist. Mitarbeiter des Leibnitz-Instituts für Meereswissenschaften in Kiel (IFM-GEOMAR) haben dazu jetzt eine Hypothese aufgestellt: Die Vulkane würden über eine Art Tunnel an der Unterseite der nordwestafrikanischen Platte von den Kanaren aus gespeist.

Dabei wissen wir, dass der kanarische Hotspot an Afrika vorbeigefahren ist, so ein Wissenschaftler von IFM-GEOMAR in der internationalen Fachzeitschrift „Geology“ (American Society of Geology). Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Gesteine aus dem Atlas-Gebirge dennoch aus sehr ähnlichem Material aus dem oberen Erdmantel stammen.

Geophysikalische Studien hatten bereits gezeigt, dass die Untergrenze der Platte unter dem nordwest-afrikanischen Atlas-Gebirge anomal dünn ist. Die Untergrenze liegt dort in nur rund 75 Kilometer Tiefe, statt der sonst durchschnittlichen 150 Kilometer. Setzen wir die Informationen zusammen, handelt es sich räumlich betrachtet um eine Art Korridor an der Unterseite der nordwest-afrikanischen Platte, so der Wissenschaftler.

Der Korridor soll rund 1.000 Kilometer lang und 250 Kilometer breit sein. Der westliche Tunneleingang liegt in der Nähe der Kanarischen Inseln, wo Material aus dem tiefen Erdmantel am Hotspot aufsteigt. Ein Teil davon wird abgelenkt, strömt in den Korridor unter dem Atlas-Gebirge ein und schmilzt lokal auf. Über viele Ma hat das aufsteigende Erdmantel-Material des Kanaren-Hotspots auf diese Weise Vulkane in Nordwest-Afrika mit Magma speisen können.

Hier der Artikel in der Zeitschrift Geology und hier ein Kurzbericht in deutscher Sprache.

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