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Exkursion Malenco - Bergell - Engadin: Thema Gletscher

Datum der Exkursion: 30. August - 5. September 2011

Leitung: Prof. Reto Gieré

Abb. 1: Google Earth: Übersichtskarte mit Lage der Aufschlüsse

Protokollant: Timm Reisinger

Matrikelnummer: 2710185

Studiengang und Semester: Geowissenschaften, 6. Semester

Universität: Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Einleitung

Im Laufe der Exkursion lernten die Studenten die Gesteine und ihre Minerale in Malenco, Bergell und im Oberengadin kennen. Aufbau und Tektonik der Alpen wurden besprochen und im Gelände erkundet. Neben den typischen geologischen und mineralogischen Untersuchungen wurden auch Aufschlüsse zum Thema Glaziologie und Permafrost im Alpenraum besucht. Dieses Protokoll befasst sich mit den während der Exkursion besuchten und erkundeten Gletschern.

Nach einer Fahrt über den Berninapass und einer Seilbahnfahrt auf die Diavolezza widmeten wir uns auf dem nahe gelegenen Munt Pers (3.207 m) dem Thema Glaziologie (Aufschluss 1). Am folgenden Tag besichtigten wir den Morteratsch-Gletscher, dem wir uns von unten vom Gletschertor näherten. Auffällig war der zu erkennende Gletscherrückzug (Aufschluss 2). Ein weiterer Aufschluss zu einem glazialen Phänomen führte uns zuvor zu den Gletschermühlen in Cavaglia (Aufschluss 3).

Zunächst möchte ich die Grundlagen zum Thema der Gletscher im Alpenraum kurz darlegen und danach anhand der drei Aufschlüsse konkrete Beispiele nennen.

Zur Eiszeit bis vor ca. 10.000 Jahren reichten die Gletscher vom Alpenraum bis zum Schwarzwald und Vogesen. Nur die höchsten Kämme waren eisfrei. Städte wie das heutige Luzern waren völlig von Eis bedeckt. Alle Gebiete, die während der Eiszeit mit Eismassen bedeckt waren, sind durch abgerundete Formen charakterisiert; auch hieraus lässt sich schießen, dass die heute noch kantigen, eckigen Gipfel eisfrei waren. Gletscherzungen breiteten sich in nördliche und südliche Richtung des Alpenraumes aus und formten glaziale Seen. Die meisten Seen im Alpenraum sind glazialen Ursprung, Beispiele sind der Lago Maggiore im Süden und der Züricher See im Norden der Alpen.

Aufbau

Ein Gletscher besteht aus zwei Bereichen, dem Nähr- und dem Zährbereich. Im Nährbereich überwiegt die Akkumulation von neuem Eis und Schnee, der Gletscher wächst. Im Zährbereich überwiegt das Abschmelzen der Eismassen, der Gletscher schrumpft. Zwischen beiden Bereichen existiert eine Gleichgewichtslinie. Diese Linie entspricht nicht der Schneelinie, dem Übergang des Gletschereises zum Schnee. Die Schneelinie ist im Gelände meist auf Grund der Farbunterschiede zu erkennen.

Entstehung

Schnee ist essenziell für die Entstehung eines Gletschers. Damit sich ein Gletscher bildet, muss im Nährgebiet mehr Schnee fallen als tauen. Fällt genug Neuschnee, wird der Schnee komprimiert und kann sich zu Eis umwandeln. Gletschereis zeichnet sich durch seine Klarheit und Durchsichtigkeit aus.

Bewegung

Gletscher als dynamische Systeme sind in ständiger Bewegung (Abb. 2). Durch das Zusammenspiel zwischen Morphologie und Gleiten über dem Wasserfilm am Gletscherbett wird die Fließgeschwindigkeit bestimmt. Die Menge des Wasserfilmes ist abhängig von der Mächtigkeit des Gletschers und dem damit einhergehenden Druck, der zum Schmelzen des Eises führt. Die höchste Geschwindigkeit des Gletschers ist im mittleren Bereich lateraler Ausdehnung und im höchsten Bereich vertikaler Ausdehnung, also beim größten Abstand zum Kontakt des Gletscherkörpers zum Umgebungsgestein. Für diese Verteilung der Geschwindigkeit ist die Reibung mit dem Umgebungsgestein verantwortlich.

Abb. 2: Blockbild der Geschwindigkeitsverteilung in einem Gletscher (Maisch et al., 1999)

Gletscherspalten

Trifft der Gletscher auf härteres Gestein und/oder morphologische Unebenheiten, ändert sich die Geschwindigkeit und die Krümmung des Eises. Infolgedessen entstehen höhere Zugspannungen. Das Eis reagiert ähnlich wie ein Gestein, an der Oberfläche des Gletschers entstehen Sprödbrüche (Abb. 3 und 4) und in tieferen Bereichen verformt es sich duktil. Reibung am Gletscherrand führt zu Randspalten. Durch Querdehung entstehen Längsspalten. Im morphologisch steilsten Bereich entstehen Zugspannungsquerspalten und durch ein Zusammenspiel von Quer- und Zugspannungen bildet das Eis Séracs (Eistürme) aus. Sich duktil verhaltendes Eis schiebt am Kliff ab und wird durch Druckspannung verformt. Dabei entsteht eine wellenförmige Oberfläche (Abb. 4) oder auch Stauchwülste genannt (Ogiven), die mit Anti – und Synformen von Gesteinen verglichen werden könnte.

Abb. 3: Der obere Bereich des Morteratsch-Gletschers mit typischen Merkmalen (Die Endmoräne gehört zu einem anderen Gletscher)
Abb. 4: Blockbild der unterschiedlichen Spaltensysteme (Maisch et al., 1999)

Moränen

Moränen sind schlecht sortiertes Material (Blöcke bis Silte) glazialer Ablagerungen mit scharfem Rand. Es gibt Seitenmoränen am Gletscherrand und Endmoränen am Fuße des Gletschers. Mittelmoränen entstehen durch den Zusammenfluss von mehreren Gletschern. Moränen weisen eine sehr geringe Vegetationsrate auf, dies liegt nicht zuletzt an der kurzen Vegetationsperiode im Gletschergebiet.

Aufschluss 1: Oberer Teil des Morteratschgletschers

(46°23'0.78''N / 9°55'28.33''E)

Anhand des Morteratschgletschers bei Pontresina lassen sich viele Phänomene eines Gletschers beobachten (Abb. 3 und 4). Die vielen Spalten im oberen steilen Bereich weisen auf groben und unebenen Untergrund hin, durch Quer- und Zugspannung entstehen hier Eistürme. In dem weniger steilen Bereich darunter sind durch Druck typische Ogiven entstanden. Querspalten entstehen an den Kanten zu steileren Bereichen.

Aufschluss 2: Unterer Teil des Morteratschgletschers

Abb.5: Das Morteratsch-Gletschertor

(46°25'28.48''N / 9°55'59.05''E)

Hier näherten wir uns dem Morteratsch-Gletscher von unten vom Gletschertor. Auf der Wanderung beobachteten wir Indizien des Gletscherrückzugs. Die Position des Morteratsch-Gletschers zu früheren Zeiten ist auf dem Weg durch Schilder festgehalten.

Seit Mitte des letzten Jahrhunderts, seit dem sog. Gletscherhochstand von 1850, befinden sich die Eismassen der Alpen, unter ihnen auch der Morteratschgletscher, als Folge einer Klimaerwärmung nach der Kleinen Eiszeit in einer längerfristigen Schwundphase, seit 1900 hat sich die Gletscherzunge ca. 2 km zurückgezogen. Durch den Eisrückgang in den letzten 140 Jahren ist in den Hochgebirgsregionen ein neuer, charakteristischer Landschaftsgürtel entstanden, das sogenannte Gletschervorfeld. Fast ungehindert entfalten hier die Schmelzwasserbäche ihre Kraft und deutlich sind hier die Spuren frischer fluvialer und glazialer Prägung zu sehen. Der schwindenden Gletscherzunge folgend keimen hier bereits die ersten Pionierpflanzen auf noch kargen und instabilen Böden.

Asche und weitere Patina können das Abschmelzen von Gletschern beschleunigen. Größere Mengen von Asche, Schutt, Geröllen und anderem Material führen zu einer Isolierung der Eismasse und verhindern somit ein Abschmelzen.

Das Tor eines Gletschers (Abb. 5) befindet sich relativ am Ende eines Gletschers, es gibt jedoch oft noch tiefer liegende Eismassen rechts und links des Gletschertors. Das Tor verändert sich regelmäßig durch das Zurückziehen und das häufige Herabstürzen der Tordecke.

Der Fluss, der aus dem Gletschertor tritt, führt ein durch Suspension trübes Wasser, die sog. Gletschermilch. Das Wasser ist eine Ansammlung des unter dem Gletscher fließenden Wassers. Die Gletschermilch bildet nach dem Austritt aus dem Gletschertor meist verzweigte Flusssysteme, was sich sehr schön vom Munt Pers beobachten lässt.

Aufschluss 3: Gletschermühlen in Cavaglia

Abb. 6: Gletschermühle (Leiter als Maßstab)
Abb. 7: Die Exkursionsteilnehmer in einer Gletschermühle

In Cavaglia im Poschiavo-Tal am Rande eines Hochplateaus befindet sich unser dritter Aufschluss, der Gletschergarten Cavaglia. In diesem Aufschluss wurden die Gletschermühlen (Abb. 6) von Freiwilligen von Steinen und Humus befreit; sie werden regelmäßig entwässert. Über die Steilkante hinweg sieht man ein glaziales Tal. Am Ende dieses Tals führte ein postglazialer Bergsturz zur Bildung eines Sees. Schaut man auf die andere Seite, sind schneebedeckte Berge sichtbar, unter ihnen hebt sich der Piz Palü hervor. Im Vergleich zu früheren Zeiten befinden sich Rumpfgletscher auf den Schneebergen. Diese Gletscher reichten zur Zeit der letzten Eiszeit bis in die Täler. Das Hochplateau des Poschiavo-Tals war zu Zeiten großer Gletscherausdehnung mit Eis des Palü-Gletschers bedeckt.

Ein Indiz für ehemalige Gletscher in Cavaglia ist der typische Gletscherschliff der umliegenden Gesteine. Der Rand des Plateaus fällt steil zum Tal ab und bildet eine Steilkante aus.

Bewegt sich Eis über die Steilkante, wird es an der Oberfläche im Vergleich zum Gletscherbett stark gedehnt, es steht unter großer Zugspannung und als Folge bricht das Eis spröde. Es entstehen Dehnungsbrüche parallel zur Steilkante. In diese Spalten gelangt Wasser, das viel Material wie Schutt und Geröll mit sich führt. Die entstandenen Gletscherspalten dünnen nach unten hin aus und bewirken so einen „Sandstrahl-Effekt“. Wasser und unterschiedlich grobes Material (Geröll und Sand) sorgen unter hohem Rotationsdruck für eine starke Erosion. An einigen Stellen entstehen Wirbel. Unter sehr großem Druck und Geschwindigkeiten bis zu 200 km/h erodiert das Wasser den Felsen. Diese Erosion führt über viele Jahre bis Jahrtausende hinweg zur Aushöhlung des Untergrundes, es entstehen die hier zu sehenden Gletschermühlen (oder auch Gletschertöpfe genannt).

Die Gletschermühlen sind in Reihen parallel zu den Steilkanten angeordnet und kommen in Cavaglia in hoher Konzentration vor. In naher Zukunft werden vermutlich noch weitere Gletschertöpfe freigelegt.

Die große Tiefe der hiesigen Gletschermühlen ist eine Besonderheit, die durch die große Zeitspanne zu erklären ist, in der die Erosion auf die gleiche Stelle wirkte. Die tiefste Gletschermühle hat eine Tiefe von 14 m. Die Gletschertöpfe sind wie ein Strudel kreisrund geformt und können sich überschneiden.

Der Augengneis des anstehenden Gesteins in den Mühlen ist durch den Schliff des Gesteins nahezu wie im Dünnschliff zu untersuchen. Dabei ist die Form der Gletschermühlen charakteristisch für das Untergrundgestein. So sind beispielsweise in der Gegend von Luzern aufgrund unterschiedlicher Gesteine andere Formen von Gletschertöpfen anzutreffen.

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