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Exkursion in die Schweizer Alpen: Finero, Baveno, Val Verzasca, Alpe Arami

- Langfassung -

Datum der Exkursion: 3. - 6. Juni 2010

Leitung: Prof. R. Gieré

Abb. 1: Übersicht über die Lage der Aufschlüsse

Protokollant: Timm Reisinger

Matrikelnummer: 2710185

Studiengang und Semester: Geowissenschaften, Semester 4.

Universität: Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.

Einleitung

Unsere Exkursion führte uns in den Grenzbereich zwischen Schweiz und Italien. In Finero, Baveno, im Valle Verzasca und der Alpe Arami untersuchten wir mineralogisch-petrografische und strukturgeologische Phänomene. Nach einer Einführung in die geologische Situation unseres Exkursionsgebiets werde ich im Folgenden zwei ausgewählte Aufschlüsse beschreiben.

Abb. 2: Geologische Übersichtskarte der Alpen

Die Entstehung der Alpen

Die letzte Gebirgsbildungsphase der Erde war die alpidische. Der Urkontinent Pangäa zerbrach vor 150 Ma in die Kontinente Gondwana und Laurasia (das heutige Afrika befand sich auf Godwana und Europa auf Laurasia). An der Bruchstelle entstand ein mittelozeanischer Rücken, aus dem ständig Magma emporstieg. Dabei entstand die ozeanische Kruste und der Penninische Ozean. Vor 120 Ma bewegte sich Afrika auf Europa zu, wobei der Penninische Ozean schrumpfte und die ozeanische Platte subduziert wurde. Später wurde die Afrikanische auf die Europäische Platte geschoben und die Europäische Platte zum Teil subduziert. Dann begann die Metamorphose der tiefer liegenden Gesteine. Durch die ständige Annäherung der Platten und durch den dabei entstehenden Druck wurden die Alpen emporgehoben.

Jura und Molasse - beides Teile der Alpen

Auf der Anreise fuhren wir zunächst durch den Jura. Als Jura wird der Gebirgs- bzw. Höhenzug aus Kalkgestein im Nordwesten des Alpenkammes bezeichnet. Diese geologisch- tektonische Einheit ist ein geologisch junger Gebirgsteil der Alpen mit einer Längenausdehnung von etwa 300 km. Nach Art und Erosion der Verfaltung unterscheidet man zwei tektonische Haupteinheiten, die sich im Landschaftsbild abzeichnen, den Faltenjura und den Tafeljura. Gegen Osten hin wird der vor ca. 5 Ma entstandene Jura immer geringmächtiger.

Auf den Jura folgt auf der Fahrt gen Süden die Vorlandmolasse. Molasse ist das Abtragungsmaterial eines Gebirges in der Spätphase seiner Entstehung. Hauptsächlich Flüsse haben Geröll, Sand, Schlamm und weiteres Material aus den wachsenden Alpen in die voralpine Senke transportiert.

Bei Luzern beginnen die „richtigen Alpen“ - Die Deckensysteme der Alpen

In den Alpen werden drei Großfaziesräume unterschieden, aus denen sich im Verlauf der alpidischen Orogenese die Hauptdeckensysteme entwickelt haben (Abb. 2):

1. Der helvetisch-subalpine Faziesraum ist durch eine vom Oberkarbon/Perm bis ins Alttertiär reichende Schichtfolge gekennzeichnet. Die in Gestalt der „autochthonen“ Externmassive an die Oberfläche ragende Unterlage der helvetischen Schichtfolge besteht aus einem bereits variskisch deformierten und metamorphosierten kristallinen Grundgebirge der europäischen Platte.

2. Der penninische Faziesraum, aus dem sich die penninischen Decken entwickelt haben, besitzt eine kompliziertere Gliederung. Während die nord- und mittelpenninischen Deckeneinheiten ebenfalls einem schon variskisch deformierten Grundgebirge der europäischen Platte angehören, besteht die kristalline Unterlage der südpenninischen Decke aus ozeanischer Kruste, die erst ab dem Oberjura neu gebildet worden ist.

3. Aus dem austroalpinen Faziesraum haben sich die ostalpinen Decken entwickelt. Kennzeichnend sind mächtige Flachwasserkarbonate aus der Trias. Das Austroalpin wird in drei Decken gegliedert, die sich nach Schichtfolge und Metamorphose unterscheiden: die unterostalpinen, die mittelostalpinen und die oberostalpinen Deckensysteme. Zum oberostalpinen Deckensystem gehören vor allem die in den Ostalpen große Flächen einnehmenden Nördlichen Kalkalpen. Obwohl die Nördlichen Kalkalpen ursprünglich im südlichsten Teil des ostalpinen Faziesraumes beheimatet waren, liegen sie heute, nach einer sehr weiten Überschiebung, am weitesten im Norden.  Die Südalpen haben ursprünglich, etwas seitenverschoben, die unmittelbar südliche Fortsetzung des ostalpinen Faziesraumes gebildet, sie stellen den südlichen Schelfbereich Afrikas dar. Die faziellen Gemeinsamkeiten sind entsprechend groß. Die „Periadratische Naht“, die als bedeutendste Störungszone die Südalpen gegen die Nordalpen abgrenzt, stellt gleichzeitig die Trennlinie für das nach Norden bewegte Ostalpin und die nach Süden gegen die Adria- Platte verengten Südalpen dar.

Die Periadriatische Naht

Die Periadriatische Naht ist eine große steilstehende Mylonit- und Zerrüttungszone und eine tektonische Grenze zwischen Nord- und Südalpen. Im Westteil befindet sich die Ivrea-Zone, in der Gesteine der tieferen Erdkruste und der Kruste/Mantel-Grenze infolge kräftiger tektonischer Aufwärtsbewegungen an die heutige Erdoberfläche transportiert worden sind. Das Periadriatische Lineament wird durch große Längstäler meist deutlich morphologisch gekennzeichnet; es taucht nordwestlich von Turin als „Insubrische Linie“ unter den jungen tertiären und quartären Ablagerungen der Poebene auf und zieht knapp nördlich der oberitalienischen Seen in das Veltlin hinein. Die „Insubische Linie“ ist eine Blattverschiebung mit vertikalem Versatz von bis zu 15 km. Der Norden wurde gegenüber dem Süden gehoben, dadurch entstanden eine höhere Erosion im Norden und ein Sprung im Metamorphosegrad. Die „Insubrische Linie“ trennt die geringfügig verformten und alpin praktisch nichtmetamorphen Südalpen von den stark verfalteten und hochmetamorphen (bis Amphibolit-Fazies) Zentralalpen im Nordtessin.

Aufschluss 1 - Gneise im Valle Verzasca

Gauß-Krüger-Notation: Rechtswert: 3487497/ Hochwert: 5124492
Breitengrad: 46°15'33.81 / Längengrad: 8°50'12.67

Im Valle Verzasca am gleichnamigen Fluss unter der Ponte dei Salti bei Lavertezzo ragen rundgeschliffene Felsformationen aus dem Wasser. Hier steht ein Gneis an, der bei sehr hohen Metamorphosegraden entstanden ist. Die gefalteten Gneise, helle Ortho- und dunkle Paragneise, wurden polyzyklisch gefaltet und metamorphosiert.

In diesem Gneis sind viele unterschiedliche geologische und mineralogische Phänomene zu beobachten:

1. Aufgrund der sehr hohen Temperatur ist das Gestein partiell aufgeschmolzen und es konnten Migmatite entstehen. Ein Migmatit ist ein grob gemengtes Gestein, das in seinem Hauptbildungsakt aus unterscheidbaren Anteilen fester, jedoch reagierender ortsgebundener Altbestände (hochgradige Metamorphite) und Material im geschmolzen Zustand bestanden hat. Herrscht in einem Gestein lokal ein geringerer Druck, können sich an dieser Stelle Schmelztaschen bilden, weil die Schmelze eine geringere Dichte als das umgebende Gestein besitzt und somit zum geringsten Druck fließt. Oft sind Gneisbereiche nicht aufgeschmolzen worden und liegen in Form von Schollen in dem ehemals geschmolzenen Material (Abb. 3 und 4). Biotitarme Teile schmelzen meist zuerst. Bei den entstehenden hellen Bereichen mit viel Feldspat und/oder Quarz spricht man von Leukosomen. Ist die auskristallisierende Schmelze eher dunkel und reich an Biotit, wird sie Melanosom genannt. Dieser Anteil bildet meist einen dunklen Rand um das Leukosom. Beim Melanosom handelt es sich um den schwer schmelzbaren Überrest des Ausgangsgesteins.

Abb. 3 und 4: Nicht aufgeschmolzene biotitreiche ...
... Gneisscholle (grün) mit einem Pegmatitgang (rot) im unteren Bereich

2. Sehr häufig gibt es Isoklinalfalten, die durch starke Einengung entstanden sind. Die Isoklinalfalten sind bis auf das Schanier parallel-schenklig (Abb. 5).

3. Ein weiteres Phänomen sind in diesem Aufschluss die schönen Sprödbrüche, die bei tieferen Temperaturen entstanden sind (Abb. 6). Mit Sprödbruch wird ein schlagartig auftretendes Materialversagen bezeichnet. In dem hier anstehenden Gneis treten die Brüche auf, weil das Material hart und spröde ist und eine geringe Duktilität und Zähigkeit aufweist. Entlang dieser Risse zirkulieren Wässer, die zu einem hellen Reaktionssaum führen, der am Ende des Risses endet.

Abb. 5: Unterschiedliche Faltentypen (www.mineralienatlas.de)
Abb. 6: Sprödbrüche

4. Parasitärfalten sind kleine Falten auf den Schenkeln oder im Scharnierbereich einer größeren Falte. Anhand der Vergenz von Parasitärfalten lassen sich größer strukturierte Falten höherer Ordnung kartieren oder auffinden: Z-Falten sind Parasitärfalten, welche auf einem Schenkel Vergenz im Uhrzeigersinn haben. Die Parasitärfalten des anderen Schenkels weisen eine Vergenz im Gegenuhrzeigersinn auf und heißen S-Falten (Abb. 7 und 8).

Abb. 7: Parasitär- oder Kleinfaltung im Gneis
Abb. 8: Unterschiedliche Vergenzen der Parasitärfalten

5. Es gibt unterschiedliche Kompetenz der gefalteten Schichten (Abb 9 und 10). Relativ dicke, kompetente Lagen werden von relativ dünnen, inkompetenten weichen Zwischenschichten getrennt. Bei der Faltung wird der äußere Bogen jeder kompetenten Schicht länger als der innere, wodurch die Schichten nicht mehr aufeinander passen. Es können so genannte Spitz-Rund-Falten entstehen, die Spitzen zeigen ins kompetentere Medium.

Abb. 9 und 10: Unterschiedliche Kompetenz der ...
... gefalteten Schichten (Bildbreite ca. 1,20 m)

6. Auffällig sind auch die Pegmatitgänge. Ein Pegmatitgang, den wir genauer untersuchten, ist aufgrund von Muskovit und Granat Al-reich (Abb. 11). Der Pegmatitgang besitzt eine andere Zusammensetzung als das Umgebungsgestein. Die Schmelze stammt vermutlich von einem ehemaligen Sediment, sie ist in einen Riss des Gesteins intrudiert.

7. Teilweise unterliegen Schichten deutlicher der Verwitterung als ihre Umgebungsschichten, weil sie vermutlich sehr glimmerreich sind (Abb. 12).

Abb. 11: Der beobachtete Pegmatitgang
Abb. 12: Unterschiedlich verwitterungsresistente Schichten

Aufschluss 2 - Mantelgestein bei Finero

Gauß-Krüger-Notation: Rechtswert: 3465579/ Hochwert: 5107818
Breitengrad: 46°6'31.7 / Längengrad: 8°33'13.67

In der Nähe von Finero gibt es eine Lokation, die bekannt für seine Mantelgesteine ist. Der Peridotitstock von Finero ist eine linsenförmige Masse, bestehend aus Lagen von ultramafitischen und mafitischen Gesteinen. Diese komplexe Masse erstreckt sich von der Gegend um Finero über eine Länge von ca. 12 km in Richtung ENE ins Centovalli. Die breiteste Stelle misst etwa 2 km. Der Komplex gehört zur Ivrea-Verbano - Zone des insubrischen Grundgebirges der südalpinen Zone. Im Norden wird der Finero-Komplex durch die insubrische Linie begrenzt (Abb. 13).

Abb. 13: Der Finero-Komplex

Das anstehende Gestein ist ein sehr harter, hell grünlicher und grauer Phlogopitperidotit.

Die Peridotit-Bruchstücke sind meist nur mehrere Zentimeter groß. Gesteine des oberen Mantels können aber auch in großen Schollen an die Erdoberfläche befördert werden, was in diesem Aufschluss bei der Auffaltung der Alpen passiert ist. In der Ivrea-Zone der Westalpen ist ein nahezu unveränderter, kompletter Querschnitt durch die Kruste von der Oberfläche bis zum oberen Mantel aufgeschlossen. In diesem Steinbruch im Finero-Komplex wird vermutlich Olivin abgebaut, der z. B. als Schleifmittel verwendet wird. Vielleicht wird auch der im Gestein befindliche Chromit abgebaut. Der Umstand, dass der Steinbruch in Betrieb ist, gibt uns die Möglichkeit, frisch freigelegtes Gestein untersuchen zu können. Der Steinbruch befindet sich über der „Insubrischen Linie“ im Südalpin. Der hier anstehende Peridotit ist im Perm entstanden. Auffällig ist, dass nahezu nur Koniferen in der Umgebung des Steinbruches wachsen, was an dem hohen pH-Wert liegt, den der Peridotit verursacht.

Das Gestein ist typischerweise extrem olivinreich, weil Olivin neben Pyroxenen das Hauptmineral in Mantelgesteinen darstellt. Bei Mantelgesteinen unterscheidet man zwischen Duniten, Harzburgiten und Lherzoliten, wobei es sich hier um einen Harzburgit handelt. Typisch ist der große Anteil an Orthopyroxenen (orthorombisch). Pyroxene sind einfache Kettensilikate, sie besitzen kein Wasser im Kristallgitter und sind deshalb stabil bei hoher Temperatur. Typisch sind sie, weil im Mantel nur sehr wenig Wasser vorhanden ist.

Abb. 14: Ein Band Klinopyroxen, umgeben von Olivin

Minerale im Gestein:

1. Olivin besitzt einen muschligen Bruch und ist die bedeutenste Phase im Gestein. Olivin ist hier meist hellgrün, es gibt jedoch auch eine gelbliche Form.

2. Pyroxene treten vorwiegend in Form von Enstatit, einem Orthopyroxen, auf. Es handelt sich um die dunkle Phase, in der schöne Flächen zu erkennen sind. Oft sind sie in Lagen angeordnet. Das mineralisch gebänderte Gestein besitzt als weitere Pyroxene die Klinopyroxene. Diese normalerweise farblosen Minerale sind hier giftig grün gefärbt (Abb. 14). Dies liegt an dem hohen Chromgehalt, typisch für ultramafische Minerale. Die Klinopyroxe (CaMgSi2O6) sind nicht homogen im Gestein verteilt.

3. Biotit ist normalerweise kein typisches Mantelgestein, weil er Wasser und Kalium enthält, beides nicht typisch für Mantelgesteine. Hier tritt der Biotit in Form von plattig rötlich goldenem Phlogopit auf, es handelt sich also um einen Mg-reichen Biotit (Abb. 15). Die Phlogopitkristalle sind oft sehr groß, was darauf hinweist, dass das Mineral unter ausreichendem Platz langsam auskristallisiert ist. Phlogopit-Elemente wie Kalium und Wasser sind durch Fluide später hinzugefügt worden (Metasomatose).

Abb. 15: Phlogopit im Gestein
Abb. 16: Chromitlage, die durch das Gestein zieht
Abb. 17: Eine Schicht von Serpentin und blauen Verwitterungsprodukten

4. Ein weiteres Mineral ist hier Chromit. Chromit besitzt einen metallischen Glanz und hier schwarz. Das Oxid (FeCr2O4) ist ein Spinell. Die Mantelgesteine enthalten viel Chrom, in diesem Aufschluss liegt Chrom in schmalen Bändern oder in Taschen vor (Abb. 16).

5. Serpentin ist ein Umwandlungsprodukt von Olivin durch Tiefenwässer. Es ist also ein wasserhaltiges Mineral und somit untypisch für Mantelgesteine. Neben dem Serpentin finden sich noch blaue Bereiche, bei denen es sich um Verwitterungsprodukte handelt (Abb. 17).

Die Komponenten Mg und S sind in diesem Gestein häufig. Ca ist das limitierende Kation: Harzburgit besitzt wenig, Lherzolit viel Calcium.

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